Das dunkle Web
Staffel 1 Folge 5

Das dunkle Web

Was zur Hölle ist eigentlich das Darknet? Marktplatz für Drogendealer und Waffenhändler? Kleinod für Whistleblower? Letzter Zufluchtsort für echte Anonymität? Und wie geht das eigentlich, also wie kommt man da rein?

Denn über das Darknet wird ja viel geredet und spekuliert, aber die wenigsten haben sich selbst schon mal dort umgesehen. Was da wirklich abgeht, weiß fast niemand.

Kommt mit auf eine Reise in das “andere” Internet und hört was Cyber-Kriminologe Thomas Gabriel Rüdiger und Autor Stefan Mey über das digitale Dilemma zwischen der dunklen Welt der Kriminalität und dem Ort der Hoffnung für Whistleblower.

Weiteres Material zur Sendung

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Unsere Gäste:

Stefan Mey ist freier Journalist in Berlin. Über das Darknet hat er bisher für mehr als ein Dutzend Medien geschrieben und natürlich das sehr lesenswerte Buch: Darknet Waffen, Drogen, Whistleblower verfasst.

Thomas-Gabriel Rüdiger beschäftigt sich als Kriminologe am Institut für Polizeiwissenschaft mit Cyberkriminologie. Seine Mission ist ganz klar: Kinder im Internet schützen. Dafür hat er auch mit Toyah Diebel in ihrem Podcast “Toyah aber billig” die Sicherheit von Kindern online erörtert.

Weitere Infos:

Das Wort “Privatsphäre” wird in letzter Zeit sehr häufig von großen Tech-Unternehmen verwendet. Doch was bedeutet Privatsphäre für diese Unternehmen? Für das eine bedeutet es, dass deine Daten auf deinem Gerät bleiben. Für das andere, dass du entscheiden kannst, wer aus deinem sozialen Netzwerk die Dinge sehen kann, die du so postest. Und für ein weiteres bedeutet es, dass es da irgendwo eine kleine Einstellung gibt, die du aktivieren kannst. All diese Unternehmen wollen natürlich eines: Sie wollen vertrauenswürdig wirken. Deshalb möchten wir hier einmal ganz ausdrücklich erklären, was wir meinen, wenn wir das Wort Privatsphäre verwenden.

Transkript

[spannungsgeladene Musik setzt ein]

Anja: Am 26. Februar 2015 passiert es: Ein Sondereinsatzkommando der Polizei stürmt eine Wohnung in Leipzig. Ziel der Aktion: Der gerade mal 20-jährige Sohn des Hauses. Er wird festgenommen; Laptop und Festplatten werden beschlagnahmt. Aber die Beamten müssen nicht erst auf die Auswertung der Daten warten, um zu wissen, dass sie einen großen Fang gemacht haben: Im Jugendzimmer des 20-Jährigen stellen sie 48.000 Euro in Bargeld sicher – und rund 320 Kilo Drogen.

Es ist einer der größten Drogenfunde in der deutschen Geschichte. In seinem Jugendzimmer, direkt unter der Nase seiner Mutter, hat der 20-Jährige einen florierenden Drogen-Versand aufgebaut – und Millionen verdient, ehe er geschnappt wurde.

Was meint ihr? Ist diese Geschichte wahr – oder frei erfunden?

Alice: Bist du das, Jonathan Frakes?

[Intro-Jingle]

Anja: Hi, ich bin nicht Jonathan Frakes, sondern Anja.

Alice: Ich bin auch nicht Jonathan Frakes. Sorry. Dafür bin ich Alice. Und ihr hört aweb, den Podcast von Firefox. Hier beschäftigen wir uns mit den Themen, die das Internet bewegen. Denn: Das Internet, das ist nicht nur online. Es ist ein Teil unserer Alltagswelt geworden, mit allen Vor- und Nachteilen. Eine Grenze zwischen online und offline? Gibt’s nicht mehr! Deswegen finden wir es ganz besonders wichtig, auf dem Laufenden zu sein. Zu wissen, was im Netz passiert, damit wir online wie offline die richtigen Entscheidungen treffen können.

Anja: Es wird düster: Wir wagen uns ins Darknet. Irgendwie meint ja jeder zu wissen, was das Darknet eigentlich ist: Das ist da, wo die ganzen Cyber-Kriminellen wohnen. Dass diese Idee sich in den Köpfen von Leuten breit macht, ist eigentlich auch kein Wunder. Sogar im „Tatort“ holen die bösen Jungs sich Waffen, Drogen und Co. mittlerweile ganz easy aus dem Darknet. Und die kleine Geschichte, die ihr eben gehört habt? Das ist die wahre Geschichte hinter der Netflix-Serie „How to Sell Drugs Online (Fast)“. Ja, den Drogenbaron im Kinderzimmer, den gab’s wirklich. Und damit ist das Darknet ja wohl endgültig überführt als Hort der Kriminalität! Oder?

Alice: Genau das wollen wir in dieser Folge rausfinden. Über das Darknet wird ja viel geredet und spekuliert, aber die wenigsten haben sich selbst schon mal dort umgesehen. Was da wirklich abgeht, weiß fast niemand. Das galt bis vor kurzem auch für Lisa. Die ist Studentin und Fan der Serie “How To sell Drugs Online (Fast)”. Im Darknet war sie selbst aber noch nie unterwegs. Also haben wir Lisa gezwungen, äh, gebeten, sich mal an ihren Laptop zu setzen und zu schauen, ob sie den Weg ins dunkle Netz findet.

Lisa: Okay, dann geh’ ich mal in Google rein erstmal.

Und jetzt einfach ganz stupide: Wie kommt man überhaupt jetzt da rein? … Ah, okay. ‘So greifen Sie auf das Dark Web zu’.

Okay, jetzt geh’ ich mal auf so’n Link drauf – ‘Deep Web Links: Wie man ins Dark Web reinkommt’. Deep Web? Ist das das gleiche? Ist das so ähnlich?

Das sind ja auch alles nur solche Artikel, nee? … Wikipedia… Ah, warte, ‘sign in’? …

Hier gibt’s ja nirgendwo ‘nen Link, wo man dann da hin kommt, oder? … Ach so, muss man sich da zuerst was runterladen?

Okay, also hier in dem Text steht gerade irgendwie, dass ich so einen komischen Tor Web Browser brauche. Aber es ist irgendwie auch alles wieder voll kompliziert und… nee, eigentlich will ich das nicht machen.

Aber wahrscheinlich muss ich mir den jetzt trotzdem erstmal runterladen, um überhaupt in die Nähe dieses Dark Web zu kommen. Dann mach’ ich das jetzt mal. Hoffentlich klappt das.

Alice: Einen Blick ins Darknet zu werfen, das ist übrigens erstmal total legal. Da ist nichts Verbotenes dran. Man sollte sich aber schon darüber im Klaren sein, dass dunkle Ecken auch immer dunkle Gestalten anziehen können. Das gilt leider online genauso wie offline. Ein Ausflug ins Darknet ist also schon was anderes als ein harmloser Spaziergang – da wollen wir hier nichts beschönigen.

Alice: Ganz so einfach gestaltet so ein Ausflug sich auch nicht, wie Lisa bei ihrem Selbstversuch festgestellt hat. Warum gibt’s da eigentlich keine App für, wird sich jetzt der ein oder andere fragen. Es gibt doch echt für alles ‘ne App, oder? Diese und ähnliche Frage kann Stefan Mey beantworten. Er ist Journalist und Autor des Buches, „Darknet: Waffen, Drogen, Whistleblower“. Wir haben mit ihm über seine Recherchen gesprochen und gefragt, wie er das Darknet erklären würde.

Stefan Mey: Ich würde sagen, das Darknet ist ein digitales Netz, das sich vom sonstigen großen Internet abschirmt mit technischen Mitteln, und es geht darum, für alle Beteiligten Anonymität herzustellen – für die Nutzer und auch für die Anbieter von Inhalten.

Laut englischsprachigem Wikipedia-Artikel gibt es 11 verschiedene Darknet-Technologien. Aber wie immer in der digitalen Welt setzt sich ein Anbieter durch, und das ist das Darknet auf Basis von Tor. Das ist eigentlich gerade das Darknet, was immer gemeint ist, wenn über dieses dunkle Netz geredet wird.

Anja: Stimmt. In vielen Köpfen sind das Tor-Netzwerk und das Darknet längst untrennbar miteinander verbunden. Und irgendwie ist das ja auch richtig: Der Tor Browser basiert auf Firefox und ist sowas wie der Schlüssel zum Darknet geworden. Mit Tor lässt sich das Netz unerkannt bereisen.

Das funktioniert eigentlich ganz einfach. Sagen wir, du willst eine Website besuchen. Wenn du nun die Web-Adresse in deinen Browser eingibst, stellt der eine direkte Anfrage an die gewünschte Seite. Diese Anfrage ist für Dritte sicht- und nachvollziehbar. So können sie deine Bewegungen im Netz verfolgen. Wir nennen das Tracking. Wenn du diesen Podcast schon länger hörst, hast du den Begriff ja jetzt schon öfter gehört.

Tor führt solche Tracker ganz einfach in die Irre. Jede Anfrage, die du über den Tor-Browser stellst, geht über drei Ecken und wird dort jeweils neu verpackt, so dass für Außenstehende am Ende nicht mehr nachvollziehbar ist, wer du überhaupt bist und wo du hin willst.

Alice: Natürlich gibt es immer auch Leute, die den Schutz der Anonymität ausnutzen. Das ist im Darknet nicht anders als sonstwo. Aber ist es wirklich ein Hort von Kriminellen und Spinnern? Stefan Mey hat nachgeforscht.

Stefan Mey: Also, es gibt zwei Studien, […] die haben quasi das Darknet gecrawlt und die Darknet-Seiten automatisiert ausgewertet, und sie sind beide zu dem Schluss gekommen: Ungefähr die Hälfte der Sachen ist illegal, die andere Hälfte ist nicht illegal.

Ich glaube, der Drogenhandel im Darknet hat mittlerweile schon… Also, das ist noch immer winzig im Vergleich zum Offline-Drogenhandel, aber der hat schon ‘ne starke Dynamik entwickelt. Das mit Kinderpornografie, ich fürchte, ist auch relativ groß, weil das sozusagen ein Ort ist, wo sich die Leute sammeln, wo die ihre Foren haben und Bilder tauschen können. Und diese politische Nutzung, das ist noch sehr in den Kinderschuhen. Es gibt halt Postfächer im Darknet von ganz großen Medien – New York Times, Washington Post, Süddeutsche, Guardian – aber wer ist denn schon Whistleblower? Das ist ‘n ganz kleiner Anteil.

Ich hatte bei meinen Recherchen gehofft, dass ich vielleicht so ‘ne riesige Landschaft von oppositionellen Blogs aus Diktaturen im Darknet finde. Das hab’ ich nicht gefunden. Der Tor-Browser wird durchaus zur Umgehung von Zensur benutzt, wobei das leider an Grenzen stößt.

Eigentlich kann man mit Tor wunderbar Zensur umgehen, denn wenn ich über die drei Ecken gehe, weiß mein Internet-Anbieter nicht, was ich eigentlich mache, und kann das auch nicht blockieren.

Es sind halt schon Recht ausgefeilte Tricks, je stärker die Zensur-Bemühungen sind.

Beide Seiten haben mal irgendwie […] den Kopf vorne, aber leider ist das Darknet noch nicht komplett zensurresistent.

Alice: Komplett zensurresistent – wohl nicht. Dafür bietet das Darknet aber Whistleblowern – also, Menschen mit sensiblen Informationen – eine Möglichkeit, ihr Wissen anonym mit Journalisten zu teilen. Wie Stefan Mey schon sagte, nutzen heute viele große Medienhäuser die Webplattform SecureDrop, um solchen Quellen einen garantiert sicheren, anonymen Kontaktpunkt zu bieten. Sicherlich flattert nicht jeden Tag Riesen-Stories in diese digitalen Postfächer – dafür ist das, was reinkommt, oft hochbrisant. Whistleblower gehen ein hohes persönliches Risiko ein, wenn sie geheime Informationen weitergeben und öffentlich machen. Die Kommunikation übers Darknet trägt dazu bei, dieses Risiko zu minimieren.

Alice: Unsere Darknet-Testerin Lisa ist noch weit entfernt davon, solche Plattformen zu entdecken. Den Tor Browser hat sie sich jetzt widerwillig installiert – aber der Weg ins Darknet bleibt steinig.

Lisa: Also, ich bin jetzt hier auf dieser Seite gelandet und hier steht: ‘Welcome to Tor Browser! You are now free to browse the internet anonymously’.

Okaaay… Also hier gibt’s gar keine Suchmaschine. Wenn ich hier also irgendwo anonym hin will, muss ich im Darknet erstmal die Adresse von vorher kennen, wo ich überhaupt hin will. Und hier steht auch noch irgendwie, dass man bei jeder Adresse erstmal die Quelle checken muss, weil das sonst auch fake sein könnte, was irgendwie komisch ist.

Hm. Okay, das erscheint mir irgendwie ‘n bisschen zu kompliziert und umständlich. Aber wahrscheinlich muss das auch so sein, hm? […] Es ist auf jeden Fall mega vertrauenswürdig. Nicht.

Also, ich bin hier gerade auf Reddit, und Reddit hat schon ein paar, ich sag’ mal, spannende Angebote. Hier kann man angeblich Falschgeld bestellen, oder auch falsche Papiere, oder natürlich auch Drogen. Hier ist sogar ‘n Screenshot. Voll praktisch eigentlich. Das sieht wie Amazon aus.

Soll ich das mal probieren? … Ist das dann schon illegal? … Ja, nee, ich glaub’, ich lass das lieber.

Anja: Fürs Darknet gibt’s keine dunkle Suchmaschine. Um sich da zurecht zu finden, muss man schon wissen, wo man hin will. Aber im sogenannten Clear Web existieren inzwischen auch zahlreiche Linklisten, die auf verschiedene Seiten im Darknet verweisen. Auf genau so eine Linkliste ist Lisa auch gestoßen. Tatsächlich wird hier auch oft auf kriminelle Angebote verlinkt. Aber ist das fake oder ernst gemeint? Von außen ist das schwer zu beurteile, und im Schlimmstfall kann schon der Versuch es rauszufinden strafbar sein.

Alice: Trotzdem juckt es viele von uns doch in den Fingern, wenn wir über so einen Link stolpern. Warum eigentlich? Was fasziniert uns so an der dunklen Seite des Netzes? Wie hat das Darknet es geschafft, sich innerhalb weniger Jahren einen festen Platz in unseren Köpfen und unserer Popkultur zu erobern? Stefan Mey hat da eine Idee:**

Stefan Mey: Ich glaube, das kommt vor allem von uns Journalisten. Das Darknet hat halt verschiedene Aspekte, und einer davon ist Cyber Crime. Das ist auch der Aspekt, den die Medien am Darknet quasi feiern. Und sobald mal irgendwo was passiert, ‘n Drogenhändler erwischt wird oder ‘n Markplatz gesprengt wird, wo Drogen gehandelt wurden, dann sind die Medien voll davon. Die anderen Aspekte, die werden so’n bisschen ausgeblendet.

Das Darknet hat auch, oder ist auch ein interessantes Szenario, um sich vor Überwachung zu schützen. Das funktioniert aber sehr viel weniger für ‘ne Schlagzeile oder ‘nen Scoop als so ‘ne Story über den 17-jährigen Dealer aus Leipzig, der in Eigenregie kiloweise Drogen verkauft hat.

Alice: Wenn wir Geschichten aus dem Darknet hören, dann sind das fast immer große Geschichten. Es geht um spektakuläre Kriminalfälle, riesige Geldsummen, aufwendige Ermittlungen. Fast jede dieser Geschichten hätte das Potential zur Hit-Serie. Diesen Trend beobachtet der Cyberkriminologe Thomas Gabriel Rüdiger schon seit einiger Zeit. Er glaubt: Es ist der Reiz des Verbotenen, der das Darknet überhaupt erst so interessant macht.

Thomas Gabriel Rüdiger: Es hat so den Nimbus des Unheimlichen.

Aber es gibt tatsächlich auch ‘ne kriminologische Theorie. Mike Presdee hat die mal gesagt. Die find’ ich immer recht spannend und die kann man da übertragen. Das ist der Carnival of Crime. Der hat im Prinzip grob gesagt, dass die Menschen immer einen Ort brauchen, wo sie vielleicht ihren düsteren Legenden oder düsteren Gedanken nachgehen können.

Man kann das eventuell halt übertragen auf das Darknet, dass man sagt, pass’ auf, das Darknet ist so ein Raum, wo die Leute denken: Na ja, was ich sonst im Clear Web und so nicht darf, das darf ich vielleicht da. Das sind meine düsteren Gedanken, die kann ich dort ausleben.

Anja: Wohin solche düsteren Gedanken im Schlimmstfall führen, sieht Thomas Gabriel Rüdiger oft genug in seiner Arbeit. Tatsächlich kann er die Befürchtungen von Stefan Mey bestätigen: Neben Drogen und Waffen ist auch Kinderpornografie im Darknet vermehrt zu finden. Rüdiger meint sogar: Wenn es einen Ort im Internet gibt, wo man noch zufällig auf Kinderpornografie stoßen kann – dann ist es das Darknet. Dennoch sagt Thomas Gabriel Rüdiger auch: Das Ausmaß des Problems wird häufig übertrieben.

Thomas Gabriel Rüdiger: Ich persönlich bin der Meinung, dass vermutlich die Polizeidichte oder die Dichte der Sicherheitsbehörden nirgendwo im Netz höher ist als im Darknet.

Die wollen natürlich auch immer spektakuläre Einsätze haben und was Krasses, wollen auch Erfolg haben. Diese spektakulären Einsätze und Erfolge sind natürlich im Darknet durchaus vorhanden, weil du hast auf einen verhältnismäßig kleinen Punkt konzentriert schwere Kriminalitätsformen.

Und da kann man halt seine Einheiten reinstecken und kann dann für Presseartikel auch mit relativ großen Erfolgsgeschichten kommen.

Anja: Die massive Aufmerksamkeit, die dem Darknet zuteil wird, ist für Thomas Gabriel Rüdiger verständlich, aber zumindest teilweise deplatziert. Er ist überzeugt: Der Kern des Problems ist im Clear Web zu suchen, das wir alle tagtäglich benutzen.

Thomas Gabriel Rüdiger: Die Sicherheitsbehörden sind im Clear Web aus meiner Sicht viel seltener vertreten als halt im Darknet. Man kann sich das so vorstellen, als wenn wir den gesamten Straßenverkehr in Deutschland nehmen, und da sieht man dann eigentlich so gut wie nie Sicherheitsbehörden. Die sind dann nur an den kleinen Ecken, was weiß ich, nur da, wo Drogenparks sind, aber auf der Straße, wo Leute miteinander in Interaktion treten, wo Kinder auf Erwachsene treffen, wo die ganzen Regularien funktionieren, da sind die nicht. Und das halte ich für ein großes Problem.

Im physischen Raum gehen wir zum Beispiel davon aus, dass von 15 Ladendiebstählen einer zur Anzeige kommt. Das ist ein hohes sogenanntes Dunkelfeld.

Im Netz – und da reden wir jetzt übers Clear Web – da reden wir teilweise nach unterschiedlichen Studien von solchen Dunkelfeldern von 300 bis 500 zu 1. Und das ist ein großes Thema. Dass nämlich die Wahrscheinlichkeit im Clear Web eine Strafanzeige zu bekommen so viel geringer ist als im Darknet, das führt zu einem Gefühl der Rechtsfreiheit. Und das führt wozu? Dass viele in Kommentaren oder in Postings und so Straftaten begehen – Beleidigung, Volksverhetzung, sexuelle Belästigung und Co.

Ich nenn’ das ‘broken web’-Gefühl. Das heißt, das Gefühl zu haben, ja guck’ mal, viele Leute können hier posten, was sie wollen und beleidigen und Dick Pics senden […] oder nach Kindern suchen – da passiert ja gar nichts. Und das führt zu seiner Senkung der Hemmschwelle und das führt zu einem generellen Gefühl der Rechtsfreiheit im Internet.

Alice: Trägt die Verrohrung im Clear Web zur Kriminalität im Darknet bei? Möglich. Fest steht laut den Experten: Die Hälfte von dem, was im Darknet angeboten wird, ist illegal. Das ist schon eine Menge. Darunter sind sicher diverse Fakes, aber eben auch schwere Verbrechen. Das bedeutet nicht, dass wir als Netzbürgerinnen und Netzbürger Angst vor dem Darknet an sich haben müssen – wohl aber, dass wir wachsam sein sollten, wenn wir uns dort bewegen.

Unsere Darknet-Testerin Lisa fühlte sich im normalen Netz viel freier als im Darknet, wo jeder Schritt mit Aufwand und Bedenken verbunden war. Wie hat ihr der Ausflug gefallen?

Lisa: Ich weiß nicht, ob ich das normalerweise auch so benutzen würde. Ich versteh’ irgendwie den Sinn davon gerade nicht. […] Also, wenn jetzt keiner das hier nachvollziehen kann, was ich gerade mache – cool. Aber so wichtig ist mir das jetzt ehrlich gesagt auch nicht.

Ich hatte es mir aber auch echt irgendwie spektakulärer vorgestellt. Es war ein netter Ausflug, aber mehr auch irgendwie nicht.

[Outro-Jingle fadet ein]

Anja: Das Darknet ist heute vor allem für eine Tendenz zur Kriminalität bekannt – nicht zu Unrecht, bestätigen die Experten. Tatsächlich stoßen wir hier sogar auf schwerste Formen von Kriminalität. Das Darknet wurde aber nicht geschaffen, um solchen Straftaten Vorschub zu leisten. Die Anonymität des Darknet kann Menschen helfen, sich aus Unterdrückung zu befreien. Und auch für Menschen, die nicht unter autoritären Regimen leiden, kann Anonymität durchaus reizvoll sein. Schließlich leben wir in einer Zeit, wo man ständig aus kapitalistischen Interessen überwacht und nachverfolgt wird.

Dass im Schutze dieser rar gewordenen Anonymität, auch Straftaten passieren, ist richtig schlimm. Umso wichtiger also, dass Sicherheitsbehörden alles daran setzen, das zu unterbinden. Dass im Darknet Straftaten passieren, heißt aber nicht, dass es da nichts anderes gibt, oder dass sonst nichts möglich ist. Wie so vieles im Leben, hat auch Anonymität verschiedene Aspekte. Unser Recht auf Privatsphäre ist einer von diesen Aspekten den wir auf keinen Fall opfern oder auch nur einschränken sollten.

Alice: Im Clear Web, also dem Internet wie die meisten es nutzen, wird es immer schwieriger, die eigene Privatsphäre zu wahren und anonym zu bleiben. Die Unternehmen werden immer neugieriger und das Tracking immer umfangreicher.

Wenn du im Netz Deine Anonymität wahren willst, kann der Tor Browser durchaus eine Option sein. Es kann allerdings Probleme geben, wenn du dich zum Beispiel bei sozialen Netzwerken oder Suchmaschinen anmelden willst. Die checken nämlich, von wo aus du dich anmeldest, und können schnell wechselnde Ortsangaben als verdächtig einstufen.

Anja: Es gibt aber auch weniger komplizierte Wege, die eigene Privatsphäre zu wahren – und das auch außerhalb des Darknet.

Um der immer umfassenderen Überwachung im Netz zu entgehen, ist es zuallererst sinnvoll, nicht lauter Produkte aus einer Hand zu benutzen. Sonst verschaffst du den herstellenden Unternehmen nämlich einen 360°-Blick auf dich und dein Leben. Besser ist es, individuell zu entscheiden, was du wirklich brauchst und willst. Und: Immer die Augen offen halten nach Alternativen zu den üblichen Verdächtigen!

Auch fürs alltäglichen Surfen im Netz gibt es eine Reihe von Tools, um die eigene Privatsphäre zu schützen. Dazu gehört zum Beispiel das Surfen im Privaten Modus. Beim Beenden der Sitzung löscht Firefox dann Passwörter, Cookies und andere verräterische Daten. Seit kurzem ist auch standardmäßig die Enhanced Tracking Protection aktiviert. Heißt: Tracker von verschiedenen Firmen werden automatisch blockiert. So schützt Firefox deine Bewegungen im Netz vor allzu neugierigen Blicken. Wer dich tracken darf und wer nicht, kannst du in den Einstellungen mit wenigen Klicks selbst entscheiden.

Eigentlich wäre es natürlich viel schöner, wenn du diese Entscheidungen gar nicht treffen müsstest; wenn mehr Unternehmen deine Privatsphäre einfach respektieren würden. Wie das aussehen kann, siehst Du zum Beispiel an den Privatsphäre- Versprechen von Firefox. Alle relevanten Links gibt’s natürlich wie üblich in den Show Notes.

Alice: Und beim nächsten Mal stellen wir uns die Frage: Was darf eigentlich im Internet passieren? Was darf wo gesagt und gepostet werden, und was nicht? Und wer entde. Da sprechen wir über Content Moderation. Wir fragen uns also: Was darf wo im Netz stehen – und was nicht? Wer entscheidet das eigentlich, und auf welcher Grundlage? Wenn wir gut sind, finden wir das alles in der nächsten Folge raus. Da geht nämlich um das Thema Content Moderation. Wir beschäftigen uns mit den Menschen, die Inhalte im Internet moderieren, mit denen, die davon profitieren, und auch mit solchen, die darunter leiden. Bis dahin…

Anja/Alice: … habt eine schöne Zeit!